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Kann bei Geschwistern ein Kind eine atypische Mukoviszidose haben und ein Kind eine klassische?

Frage
Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben zwei Söhne, der Ältere ist 2,6 Jahre alt, der Jüngere ist 5 Monate alt. Unser älterer Sohn hat eine massive Gedeihstörung, er wiegt mit seinen zweieinhalb Jahren gerade einmal 9 Kilogramm. Da er jedoch ein ehemaliges Frühchen mit Halbseitenlähmung ist, sahen die Ärzte den Grund für diese Gedeihstörung hauptsächlich darin begründet. Ansonsten hatte der Bub aber keine mukoviszidosetypischen Symptome. Der Kinderarzt wollte jedoch eine Abklärung mittels eines Schweißtest und dieser ergab einmal ein leicht postives Ergebnis (in einem CF Zentrum). Danach gingen wir zur Überprüfung in das näher gelegene regionale Krankenhaus. Mit welchem Verfahren dort getestet wurde, weiß ich nicht, zumindest sagte man uns, dass die Salzwerte so niedrig seien, dass Mukoviszidose ausgeschlossen sei. Zufrieden mit dem Ergebnis wurde ich erneut schwanger. Bei einem Arztwechsel unseres älteren Sohnes wurde uns gesagt, dass eine Diagnostik mit einem leicht positiven und dann einem negativen Schweißtest nicht korrekt sei und unser Sohn nun erneut getestet werden müsse. Diesmal wieder im CF Zentrum. Es wurde ein Schweißtest mittels Makroprodukt durchgeführt. Schweißmenge 43 mycroliter. Das Ergebnis war 30mmol/l Chlorid. Damit der Grenzwert von Normal. Die Ärztin sagte, dass ein erneuter Schweißtest durchgeführt werden muss. Aber unser Erstgeborener hätte aufgrund des niedrigen Wertes allenfalls eine atypische Mukoviszidose, die vom Verlauf her nicht sehr schlimm sei. Nun ist es aber so, dass unser jüngerer Sohn, im Gegensatz zum älteren Bruder, sehr auffällig hinsichtlich Mukoviszidose ist. Rasselt seit dem Alter von einer Woche, wobei ich nicht hören kann, ob es in Nase oder Lunge hängt. Krampfartige Bauchschmerzen, wobei er den ganzen Körper durchbiegt. Permanenter Durchfall. Wiegt mit 5 Monaten nur 6 Kilo, trotz großem Appetit. Jedoch keine Lungenentzündungen. Nun meine Frage: Kann es sein, dass der Letztgeborene eine schwere Form der Mukoviszidose hat, während sein Bruder schlimmstenfalls nur eine leichte? Beide Buben haben die gleichen genetischen Eltern. Nach 1,5 Jahren diagnostischem Irrweg wäre ich dankbar für jede Hilfestellung, insbesondere da unsere Familienplanung noch nicht abgeschlossen ist. Der Text ist leider etwas lang geworden. Vielen Dank für ihre Hilfe
Antwort
Liebe Fragende,
ich möchte Ihnen in zwei Abschnitten antworten:

1. Kann es sein, dass ein Geschwisterkind eine schwere Form der Mukoviszidose hat, während das andere Geschwisterkind eine leichte, atypische Mukoviszidose hat?

2. Was bedeutet das (und die diagnostischen Irrwege) für die Familienplanung ?

Bewusst trenne ich diese Antworten, da Sie mit diesen Fragen an zwei verschiedene Spezialisten herantreten müssen: Für die Diagnose-Frage (1.) müssen Sie zu einem Kinderarzt, für die Familienplanungs-Frage (2.) ist Ihr Beratungspartner ein niedergelassener Facharzt für Humangenetik.

Zu 1. Die kurze Antwort lautet: Ja. Mukoviszidose ist eine Erbkrankheit, die für die Vielseitigkeit der zugrundeliegenden genetischen Störungen und daraus hervorgehenden Krankheitsverläufe bekannt ist. Wenn Sie auf einen Mukoviszidose-Kongress mit genug Ärzten aus den Mukoviszidose-Zentren sprechen, werden Sie immer Ärzte treffen, die auch seltene und ungewöhnliche Verlaufsformen beschreiben. Es hilft Ihnen nichts, dass dieses oder jenes bei der Gesamtheit der Mukoviszidosepatienten sehr selten sei – schliesslich sind Ihre Kinder jeweils ein Einzelfall für sich.

Ich gehe davon aus, dass die Mukoviszidose-Ärzte aus dem Fachzentrum, das Sie konsultiert haben, die Entscheidung „keine typische Mukoviszidose“ aufgrund des klinischen Gesamtbildes gefällt haben (also nicht nur aufgrund eines Schweisstestwertes). Allerdings macht mir folgendes konkret Sorgen: „[...] Rasselt seit dem Alter von einer Woche, wobei ich nicht hören kann, ob es in Nase oder Lunge hängt. [...] „ Bei der Vielzahl der möglichen Erkrankungsursachen für Atemwegs- und auch Verdauungstraktbeschwerden im Säuglings- und Kleinkindalter sollten Sie hier nicht selber horchen müssen – bitte belasten Sie hier unbedingt einen Facharzt für Kinderheilkunde mit Stethoskop.

Ich empfehle hier den zweiten Kollegen, den Sie beschreiben: „Bei einem Arztwechsel unseres älteren Sohnes wurde uns gesagt, dass eine Diagnostik mit einem leicht positiven und dann einem negativen Schweißtest nicht korrekt sei und unser Sohn nun erneut getestet werden müsse.“, denn das ist sachlich und fachlich richtig.

Es gibt neben dem Schweisstest weitere Diagnosemöglichkeiten – es sollte aber ein Kinderarzt entscheiden, welche Massnahmen nun in Ihrem Fall am dringendsten sind. Stichworte dazu: CFTR-Gentest (siehe 2.) und ggf neben einem Schweisstest weitere CFTR-Funktionsanalytik, um ein möglicherweise nicht arbeitendes CFTR-Gen zu erkennen. Für den Altersbereich Ihrer Kinder kommt da nur die sogenannte Ex-vivo-Messung der Ionenströme in rektalen Schleimhautbiopsaten (kurz ICM-Diagnostik genannt) in Frage, die in Deutschland in den Mukoviszidosezentren in Berlin (Charité), Bochum, Gießen, Hannover und Heidelberg zur Verfügung steht.

Ich hoffe, dass Sie an einer Stelle in Deutschland wohnen, an der Sie einen erreichbaren Mediziner für Kinder- und Jugendheilkunde haben. Besonders wenn eine Gedeihstörung bekannt ist und noch eine Verdachtsdiagnose Mukoviszidose im Raum steht, sollten Sie akute Krankheitsanzeichen nicht allein auf Ihre Schultern nehmen müssen – ich bitte Sie eindringlich, stets einen Kinderarzt (auch bei voller Sprechstunde und dem Risiko, im Wartezimmer noch einen weiteren Infekt abzuholen) aufzusuchen. Wie zuvor geschehen wird der Kinderarzt bei Verdacht erneut auf Mukoviszidose testen (lassen), denn es ist nicht ungewöhnlich, dass der Schweisstest nicht zum Ausschluss der Erkrankung geeignet ist. Das Umgekehrte funktioniert besser, ist aber auch alleinstehend nicht fehlerfrei, also: pathologischer Schweisstest ist meist ein zuverlässiges Anzeichen für die Mukoviszidose, und damit hätte der Arzt dann Bescheid gewusst. Durch den „nicht so schlimmen, nur grenzwertigen“ Schweistest, der allerdings auch nicht eindeutig ist, erklärt es sich, dass Sie mit Ihrem Sohn auf Anraten des einen Schweisstest gemacht haben – und nun doch keine sichere Diagnose haben, was sowohl für Sie selbst als auch für den Kinderarzt unbefriedigend ist. Hinsichtlich der Diagnoseschweirigkeiten sitzen Sie, Arzt und Eltern, in einem Boot - allerdings ist der Kinderarzt geschult, um das zu wissen (und hoffentlich im Arzt-Eltern-Gespräch entsprechend abzufedern).

Zu 2. Hier verweise ich Sie an einen Facharzt für Humangenetik und arbeite gerne etwas vor. Mukoviszidose ist eine Erkrankung, die man geerbt hat, wenn die mütterliche UND die väterliche Kopie des Mukoviszidosegens defekt sind. Mit anderen Worten: Vater und Mutter des Kindes vererben jeweils ein defektes Mukoviszidosegen (dieses Gen heisst CFTR) an das Kind. Daher sind die Eltern gesund (haben selbst nur EINE defekte Genkopie für CFTR), das Kind kann nur krank sein, wenn bei ihm zwei defekte CFTR-Erbanlagen zusammentreffen. Es gibt eine Vielzahl genetischer Störungen im CFTR-Gen, aber in der Mehrzahl der Fälle kann ein Humangenetiker durch eine Genanalyse diese Störungen identifizieren. Dazu benötigt er Blut oder eine andere DNA-Quelle, wie z.B. einen Mundschleimhautabstrich, der gesamten Familie (Vater, Mutter, beide Kinder). Nach dem Gentest wird der Facharzt für Humangenetik Sie beraten können, welches Risiko bei einer erneuten Schwangerschaft für Mukoviszidose besteht. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit Ihrem Frauenarzt/ Ihrer Frauenärztin auf, die einen solchen Facharzt bestimmt vermitteln kann.

Mit den besten Wünschen, besonders für die Gesundheit der beiden kleinen Patienten,
Frauke Stanke
29.05.2015
Die Antwort wurde erstellt von: Dr. Frauke Stanke