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Geschwister - ja oder nein?

Frage
Guten Tag,

unsere Tochter (CF-Patientin, bisher sehr stabiler und guter Verlauf) ist nun 2 Jahre alt und wird ab April den Kiga besuchen. Ursprünglich hatten wir zwei oder drei Kinder geplant. Nach der Diagnosestellung vor knapp 2 Jahren war dieses Thema erstmal keines mehr für uns. Mittlerweile jedoch denken wir, dass ein weiteres Kind vielleicht zu wagen wäre ...

Unsere Tochter hat die Muatation: Delta F508 und G542X.

Wie stehen Sie einer Familienerweiterung gegenüber? Eine weitere Meinung wäre für unsere Entscheidung sicherlich hilfreich.

Herzlichen Dank & viele Grüße

P.S. Wenn ich die Entwicklung unserer Tochter sehe, kann ich nicht verstehen, dass CF unter das PID-Gesetz fällt ...

Antwort
Liebe(r) Fragestellende(r),

zunächst einmal freue ich mich, zu hören, dass es Ihrer zweijährigen Tochter gut geht. Das ist bestimmt den guten Ärzten zu verdanken, aber noch entscheidender ist Ihre Unterstützung aller therapeutischen Bemühungen im Alltag mit einem Kleinkind!

Ich habe beim Lesen Ihrer Frage den Eindruck, dass Sie die Entscheidung zugunsten weiterer Kinder schon vorsichtig bejahend getroffen haben und nun nach Unterstützung und weiteren Argumenten suchen, um sich Ihrer Sache sicher zu werden. Dazu sind Sie in einem Expertengremium wie dem ECORN-CF nicht optimal aufgehoben, denn der Kontakt zu Eltern mit zwei Geschwistern, die entweder beide Mukoviszidose haben oder von denen nur ein Kind Mukoviszidose hat, wird Ihnen mehr über den Alltag einer mehrköpfigen Familie verraten, von denen zumindest eine(r) an dieser chronischen Krankheit leidet. Vielleicht können Sie über eine Selbsthilfegruppe einen solchen Kontakt herstellen – es gibt in Deutschland „viele“ Familien mit mehreren Mukoviszidose-Kindern (die Erkrankung ist selten, aber Geschwisterpaare finden sich an jeder größeren CF-Ambulanz in Deutschland). Es gibt also genug Eltern, die diese Situation bereits erlebt und gemeistert haben.

Bei der Familienplanung spielen immer viele Überlegungen eine Rolle. Da Sie auch den Mutationsgenotyp Ihrer Tochter und das PID-Gesetz in Ihrer Frage erwähnen (F508del/G542X, also klassisch CF, humangenetisch gut zu erfassen und sicher zu diagnostizieren), gehe ich davon aus, dass Sie die Mukoviszidose als Erbkrankheit beschäftigt. Vor diesem Hintergrund stelle ich Ihnen nun zwei Fragen:

1. Eine Familie mit mehr als einem Kind und Mukoviszidose - kann ich das leisten?
Mukoviszidose ist und bleibt eine chronische Erkrankung, die lebenslang Ihre und auch die Aufmerksamkeit Ihrer Tochter erfordern wird. Das kostet Sie Zeit. Können Sie das mit Ihrer Lebenswirklichkeit vereinen? Ändert sich Ihre Antwort auf diese Frage, wenn das Geschwisterkind Mukoviszidose hat oder wenn das Geschwisterkind gesund ist?

2. Mein Kind hat Mukoviszidose – muss ich bei einer Schwangerschaft nun einen Gentest machen?
Grundsätzlich haben Sie das sogenannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also sowohl das Recht, etwas zu erfahren, als auch das Recht, dieses Wissen abzulehnen. Sie aber wissen bereits, welche Mutationen Sie an Ihre Tochter vererbt haben. Damit ergibt sich auch die Möglichkeit, einen Gentest durchzuführen. Im Detail diskutieren Sie das für und wider für einen Gentest am besten mit einem dafür ausgebildeten Facharzt für Humangenetik. Der wird Ihnen bestätigen, dass beide Mutationen in Ihrer Familie humangenetisch sicher zu erfassen sind, so dass Sie die sichere Diagnose bereits bekommen können, bevor das Kind geboren ist. Hat das Kind weder F508del noch G542X oder nur eine dieser beiden Mutationen geerbt, wird es so gesund sein, wie seine Eltern. Bevor Sie sich dafür oder dagegen entscheiden, bedenken Sie auch, welche Fragen ihre Kinder Ihnen stellen können, wenn sie erwachsen sind. Die Zeiten ändern sich: Unsere Großeltern wissen nicht, dass es Gene gibt. Unsere Eltern wissen, dass man Gene untersuchen kann. Für unsere Generation sind Gentests in der Presse allgegenwärtig. Für Ihre Kinder werden Gentests alltägliche Routine werden. Die Generation unserer Kinder wird über das Themen wie „Mukoviszidose und Gentest“ oder „Mukoviszidose und PID“ also anders denken, als wir, weil sie in einer anderen Umgebung aufwachsen.
Nun zur Antwort auf ihre Kernfrage: Wie Sie diesen Denkanregungen entnehmen können, stehe ich einer Familienerweiterung von ganzem Herzen bejahend gegenüber – und überlasse Ihnen natürlich die schweren Einzelentscheidungen. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Rückfragen ein Stück auf ihrem Wege weiterhelfen konnte.

Dr. rer. nat. Frauke Stanke
Department of Pediatric Pneumology and Neonatology
OE6710
Hannover Medical School
29.11.2011
Die Antwort wurde erstellt von: Dr. Frauke Stanke