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Mukoviszidose?

Frage
Sehr geehrte Damen und Herren
Meine Tochter ist 8 Jahre alt und hat die Mutation R1162X - R1048G. Wir haben die Diagnose Mukoviszidose erhalten, als sie noch ein Baby war. Damals wurden wir in einer CF - Ambulanz vorstellig. Die ersten Lebensjahre waren unauffällig. Der Schweißtest war negativ. Uns wurde gesagt, sie hätte zwar CF, jedoch sei es eine Form ohne Symptome. Mit 3 Jahren hatte sie wiederholt Infekte, sodass die CF - Ambulanz Therapiemaßnahmen ins Auge fasste. Fortan bekam sie jeden 2. Tag Zitromax und wir machten 2 x täglich Atemtherapie. Als sie 6 Jahre alt war, wechselten wir die CF - Ambulanz, weil uns vorkam, dass die Therapie in keiner Relation steht zum Gesundheitszustand unserer Tochter. Sie hatte zwar immer wieder Infekte, wir verstanden jedoch nicht, warum wir ihr ununterbrochen Antibiotika verabreichen mussten. In der neuen Ambulanz wurden wieder Schweißtests gemacht. Die Werte lagen bei 15, 22 und 43. Uns wurde hier nun gesagt, dass unsere Tochter keine Mukoviszidose hätte, weil die Tests negativ sind. Es wurde uns geraten, jegliche Therapie zu unterlassen, da sie ein gesundes Kind ist. Das haben wir auch gemacht. Leider ging es ihr aber mit der Zeit schlechter. Sie wurde kurzatmig, sportliche Aktivitäten konnte sie nicht wie gewohnt durchführen, hatte wiederholt (leichte) Infekte. Im Zeitraum von 5 Monaten wurden 2 Spirometrien gemacht, die deutlich unter ihren normalen Werten lagen. Daraufhin haben wir wieder mit der Atemtherapie (einmal tgl inhalieren mit Kochsalzlösung, Flutter, Autogene Drainage) begonnen. Ihr Zustand besserte sich zusehens, die Spirometriewerte waren wieder top.
Bei unserem letzten Gespräch in der CF - Ambulanz wurde uns wieder versichert, dass sie nicht an Mukoviszidose leidet. Nun meine Frage: ist alleinig der Schweißtest indikativ für eine Mukoviszidose oder sagt auch der Bluttest etwas aus? Kann es sein, dass sie trotz negativer Schweißtests Symptome einer Muko zeigt? Wir sind verunsichert, weil wir 2 total konträre Aussagen von CF - Spezialisten haben. Die einen sagen, sie hätte CF, wollen die volle Therapie durchziehen, die anderen hingegen meinen, sie sei völlig gesund und es sei lediglich notwendig, jährlich einen Schweißtest durchzuführen.
Antwort
Liebe(r) Fragende(r),
Ihre Fragen möchte ich gerne in einzelnen Abschnitten beantworten:

1. Ist alleinig der Schweißtest indikativ für eine Mukoviszidose?
Nein, der Schweißtest alleine zeigt eine Mukoviszidose nur an, wenn er positiv ist (also > 60). Es gibt genug Mukoviszidose-Mutationsgenotypen, bei denen der Schweißtest negativ (also < 60) ausfällt.
Das bei Mukoviszidose betroffenen Eiweiß CFTR ist ein Chloridkanal (Chlorid ist, salopp gesagt, die Hälfte vom Kochsalz). Diese Eigenschaft kann man messen: in der Schweißdrüse liegt mehr Salz vor, wenn CFTR nicht funktioniert. Es gibt neben dem Schweißtest zwei weitere diagnostische Verfahren, die erfassen, wie gut bzw wie schlecht CFTR funktioniert (siehe auch weiter unten). Die intestinale Kurzschlussstrom-Messung (ICM) sowie die Messung der nasalen Potentialdifferenz (NPD) gelten als sensitive Verfahren, um in Zweifelsfällen zu bestimmen, wie gut bzw wie schlecht CFTR funktioniert.

2. …. oder sagt auch der Bluttest etwas aus?
Ja, aber nur wenn der Arzt hinreichend viele Patienten mit den gleichem CFTR-Mutationsgenotyp gesehen hat. R1162X - R1048G ist eine weltweit sehr seltene, vielleicht sogar einmalige Kombination. Man weiß über R1162X gut Bescheid, da gibt es genug Patienten, das ist eine Mukoviszidose Mutation. Bei R1048G kann man, ohne weitere Daten zu haben, leider nur raten (und das haben die Ärzte bei der Diagnose leider getan).

3. Kann es sein, dass sie trotz negativer Schweißtests Symptome einer Muko zeigt?
Ja. Zwischen „gesund“ und „mukoviszidosekrank“ gibt es weitere Zwischenformen, bei denen nur ein Teil des Beschwerdespektrums ausgebildet wird. Die von Ihnen beschriebenen Daten (verstärkte Neigung zu Infekten im Kleinkindalter, Schweißtestwert im Grenzbereich bei 40, Atemwegsbeschwerden im Schulkindalter) sprechen dafür, dass bei Ihrer Tochter weniger funktionsfähiges CFTR zur Verfügung steht, als bei z.B. Ihnen oder Ihrem Mann. Ob das nun eine Mukoviszidose oder eine der seltenen CFTR-abhängigen Zwischenformen (die heißen: atypische Mukoviszidose oder CFTRopathie) ist, können Sie durch weitere Messungen (NPD, ICM) zweifelsfrei feststellen lassen.

Zusammenfassend: Bitte wenden Sie sich zur eindeutigen Diagnose an ein Zentrum, dass zur Durchführung der Mukoviszidose-Basisdefekt-Diagnostik zertifiziert ist und neben einem Schweißtest auch die Nasalpotentialdifferenzmessung (NPD) und die Diagnose per ICM durchführt (derzeit: CF-Zentren in Berlin, Bochum, Hannover, Heidelberg). Man wird dort messen, wie gut das CFTR bei Ihrer Tochter in den Atemwegen und im Darmgewebe funktioniert und Ihnen danach sicher sagen können, ob Ihre Tochter eine milde Mukoviszidose, eine CFTRopathie, eine atypische Mukoviszidose oder nichts von alledem hat. Damit wird dem behandelnden Facharzt sehr geholfen: dieser muss gezielt die Symptome behandeln, nicht die Ja/Nein Diagnose nach CFTR-Gentest und Schweißtest. Wichtig ist besonders folgendes: Beschwerden wie „Neigung zu Infekten im Kleinkindalter“ und „Atemwegsbeschwerden im Schulkindalter“ treten auch bei Kindern mit zwei gesunden CFTR-Genen (also ohne Mukoviszidose) auf. Diese anderen Krankheitsbilder müssen dann natürlich auch anders therapiert werden als eine Mukoviszidose.

Ein historischer Exkurs zum Schluss – warum widersprechen sich die Ärzte?
Die Vorgehensweise, nun die Symptome ihrer Tochter mithilfe von ICM und NPD genau einzuordnen, um in Zukunft passgenau zu therapieren, ist im Einklang mit den aktuellen europäischen Richtlinien zur Diagnose der Mukoviszidose (J Cyst Fibros. 2011 Jun;10 Suppl 2:S53-66.) sowie der atypischen Verlaufsformen (Cyst Fibros. 2011 Jun;10 Suppl 2:S86-102). Wie Sie sehen können, sind diese Richtlinien aus dem Jahr 2011 recht neu, so dass sich die neuen Möglichkeiten zur Feindiagnostik noch nicht bei allen Ärzten herumgesprochen haben mag. Das erklärt auch die widersprüchlichen Aussagen der Ärzte, denn der Kenntnisstand hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert: vor gut 10 Jahren hat man noch automatisch angenommen, dass jede Sequenzvariation im CFTR-Gen krankheitsauslösend wirkt (daher: Diagnose Ihrer Tochter aufgrund des Bluttests im Babyalter). Dann hat man gelernt, dass die klinischen Symptome besser die Therapie bestimmen, nicht die in Zweifelsfällen wenig aussagekräftige CFTR-Genetik (daher: intensive Therapie der Infekte Ihrer Tochter im Kleinkindalter). Manche Zentren messen dem CFTR-Gentest eine nachrangige Bedeutung bei, haben sich aber auf den leider wenig sensitiven Schweißtest verlassen (daher: sie Aussage, Ihre Tochter sei gesund und benötigte keine Therapie). Inzwischen weiss man, dass einige Sequenzvariationen im CFTR-Gen keine klassische Mukoviszidose auslösen – und gücklicherweise gibt es inzwischen mit NPD und ICM auch Werkzeuge, um das besser zu erkennen, als mit dem Schweißtest.

Ich wünsche Ihnen und ihrer Familie von Herzen alles Gute für die Zukunft,
Frauke Stanke
26.11.2012
Die Antwort wurde erstellt von: Dr. Frauke Stanke