Bitte beachten Sie: Manche Informationen sind nach einem Jahr noch aktuell, andere schon nach drei Monaten veraltet. Wenn Sie sich unsicher sind, können Sie gern nachfragen.

Diagnose CBAVD und PID

Frage
Sehr geehrtes Experten-Team,

aufgrund der Diagnose Azoospermie bei meinem Mann wurden wir zur genetischen Beratung geschickt. Verdachtsdiagnose: Translokation. Ergebnis der molekulargenetischen Untersuchung bei meinem Mann: Für das Intron 8 wurde die Allelkombination 55/7T bestimmt. Damit kann der Verdacht auf das Vorliegen einer durch CFR Mutationen verursachten CBAVD mit den bei uns durchgeführten Untersuchungen (Testverfahren: INNO-LiPA CFTR17+Tn Update und INNO-LiPA CTFR 19). Bei mir: Konnte keine Mutation im CFTR Gen (Chromosomenregion 7q31.2) nachgewiesen werden.
Befundintrepretation: Zukünftige Kinder aus unserer Partnerschaft haben ein Restrisiko von 0,125% an einer milden Form der CF zu erkranken. Ansonsten haben wir ein unauffälligen Chromosomenbefund (er: 46, XY, ich: 46, XX)
So weit so gut. Jetzt hat unser KiWu uns dringend vor dem Eizellen/embryonentransfer dazu geraten eine PID durchführen zu lassen. Wir sind verunsichert - bringt den oben genannter Befund (außer des Restrisikos von 0,125%) ein erhöhtes Risiko mit sich auch Genmutationen für Krankheiten wie Chorea Huntington, ß-Thalassämie, Cystische Fibrose, Adrenoleucodystrophie (Addison-Schilder-Syndrom), Sichelzellenanämie, Hämophilie A + B, Retinitis pigmentosa, Spinale Muskelatrophie, Wiskott-Aldrich-Syndrom, 21-ß-Hydroxylase-Defizienz, Morbus Charcot Marie Tooth (Neurale Muskelatrophie), Myotone Dystrophie (Morbus Curschmann-Steinert), Marfan-Syndrom, Muskeldystrophie Typ Duchenne, Muskeldystrophie Typ Becker, Osteogenesis imperfecta, Torsionsdystonie, Lesch-Nyhan-Syndrom (Hyperurikose) in sich zu tragen? Wie bewerten Sie den Vorstoß unseres KiWu-Zentrums? Mein Mann ist 45 Jahre und ich 36 Jahre alt, hatten bisher keine Fehlgeburten o.ä. weil noch keine Schwangerschaft. Außer, dass mein man CBAVD hat, zeigt er kaum klinische Symptome einer CF. Gelegentlich belegte Bronchien oder Verstopfung. Wir freuen uns über Ihre Einschätzung und eine rasche Antwort. Vielen Dank!
Antwort
Liebe Fragende,

Zunächst: ich übersetze den Befund „55/7T“ als CFTR-5T-Allel (liegt im Intron 8 des CFTR-Gens). Damit verbindet man ein erhöhtes Risiko für CBAVD. Das andere CFTR-Gen Ihres Mannes ist ein CFTR-7T-Allel (und damit völlig gesund, also unbedenklich).

1. Das Restrisiko: 0.125% mag rechnerisch richtig sein – sollte aber präzisiert werden: hier geht es ausschließlich um das Risiko, aufgrund von CFTR-Genvarianten (das Mukoviszidose-Gen heißt CFTR) an einer Mukoviszidose zu erkranken.

2. Der CFTR-Gentest hat NICHTS mit den anderen Erbrankheiten [Chorea Huntington, ß-Thalassämie, Adrenoleucodystrophie (Addison-Schilder-Syndrom), Sichelzellenanämie, Hämophilie A + B, Retinitis pigmentosa, Spinale Muskelatrophie, Wiskott-Aldrich-Syndrom, 21-ß-Hydroxylase-Defizienz, Morbus Charcot Marie Tooth (Neurale Muskelatrophie), Myotone Dystrophie (Morbus Curschmann-Steinert), Marfan-Syndrom, Muskeldystrophie Typ Duchenne, Muskeldystrophie Typ Becker, Osteogenesis imperfecta, Torsionsdystonie, Lesch-Nyhan-Syndrom (Hyperurikose)] zu tun. Diese Erkrankungen beruhen auf Defekten in anderen Genen – nicht in CFTR.

3. Der Vorschlag des Kinderwunschzentrums zur PID scheint mir sehr offensiv, falls folgendes zutrifft: im Rahmen des Kinderwunschdiagnostik hat man Sie und Ihren Mann humangenetisch untersucht und außer dem CFTR-5T-Allel Ihres Mannes nichts Auffälliges gefunden. Das mag ich aber aus Ihrem Brief nicht zweifelsfrei herleiten: die Einordnung des Befundes nach CFTR-Genotypisierung zu Erkrankungen wie Chorea Huntington darf nach einer vernünftigen humangenetischen Beratung nicht passieren! Wir haben mehr als 20.000 Gene, der Fachhumangenetiker muss Ihnen unzweideutig sagen können, welche davon er getestet hat, welche nicht, und für welche Krankheiten diese Gene verantwortlich sind. Fragen Sie da bitte nochmal nach, ob außer dem CFTR-5T-Allel noch etwas in der Diagnostik auffällig war.

4. Einen Kommentar zur Azoospermie und CFTR-Mutationen möchte ich noch anfügen: meist wird im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung auf CFTR-Mutationen getestet, wenn Azoospermie vorliegt. Aber: Azoospermie hat mehrere Ursachen: bekannte genetische Faktoren sind z.B. die sogenannten „Azoospermie-Faktoren“, kurz AZF, die auf dem Y-Chromosom kodiert sind. Es gibt auch verschiedenen Typen von Azoospermie, z.B. eine obstruktive Azoospermie (da sind, im Gegensatz zur CBAVD, die Gänge „nur“ verstopft, aber anatomisch noch vorhanden). Spezialisten für diese Differentialdiagnose sind Andrologen an spezialisierten Zentren. Über Patienten mit Azoospermie und Genanalysen stimmen die folgenden zwei Aussagen: Erstens: Bei Patienten mit Azoospermie findet man häufiger Mutationen im CFTR-Gen oder im AZF-Lokus, als bei gesunden Personen. Zweitens: Bei vielen Patienten mit Azoospermie können keine genetischen Ursachen für die Erkrankung festgestellt werden – es wird vermutet, dass Umwelteinflüsse eine große Rolle spielen. Bekannte Beispiele sind Farbstoffe in der Kleidung, Pestizide in der Nahrungskette, Zusatzstoffe in den allgegenwärtigen Plastikmaterialien …. kurzum: eine endlose Liste von Chemikalien, denen wir uns in unserer Industriegesellschaft nicht entziehen können. (Quelle: Stellungnahme der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik, European Journal of Human Genetics (2006) 14, 588–645)

Zusammenfassend: Wenn die von Ihnen hier zusammengetragenen Informationen vollständig sind, kann ich kein Risiko für eine schwere Erbkrankheit für Ihr Wunschkind ableiten. Aber auch dem 0.125%-Restrisiko möchte ich mich nicht anschließen: Das CFTR-5T-Allel des Wunschvaters kann der Nachwuchs selbstverständlich erben - oder auch nicht. Die Wahrscheinlichkeit liegt dabei also bei 50% Ja, 50% Nein. Es liegt in Ihrer Entscheidung, ob Sie das als schweres Risiko für den Lebensweg Ihres Nachwuchses bewerten – ein erhöhtes Risiko, mit einem geerbten 5T-Allel später selbst einmal in einem Reproduktionsmedizinischen Zentrum Hilfe suchen zu müssen, besteht zweifelsfrei. Die Entscheidung, ob Sie desshalb eine Präimplantationsdiagnostik veranlassen möchten, können Sie nur im Gespräch mit dem Kinderwunschspezialisten treffen (dieser diagnostische Eingriff ist invasiv und birgt für das ungeborene Leben leider ebenfalls Risiken).

Mit den besten Wünschen für Sie beide - ich hoffe, dass Ihr Kinderwunsch in naher Zukunft in Erfüllung geht;

Frauke Stanke
24.02.2014
Die Antwort wurde erstellt von: Dr. Frauke Stanke