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Zeitfenster zur Beeinflussung der biologischen Prozesse in der Lunge

Frage
Liebes ECORN-CF-Team,

in diesem Artikel https://idw-online.de/de/news762933 heißt es unter anderem:

"Auch für die Behandlung der Mukoviszidose gebe die Studie einen entscheidenden Hinweis: Während die Behandlung älterer CF-Patientinnen und Patienten nur eingeschränkt möglich ist, gebe es bei Kleinkindern offenbar ein Zeitfenster, um die biologischen Prozesse in der Lunge günstig für den weiteren Krankheitsverlauf zu beeinflussen."

Da auch wir ein zweijähriges Kind mit CF haben, würde mich interessieren, wodurch man diese Prozesse günstig beeinflussen kann?

Ich danke Ihnen für diesen tollen Service und Ihren Einsatz!
Herzliche Grüße!
Antwort
Liebe Eltern
Sehr schön, dass Sie diese wichtige Frage stellen!
Die von Prof. Tümmler initiierte Lungenforschung baut sich ja auf einer ganzen Reihe von Fragen auf:
· Ist die Lunge eines CF-Patienten bei der Geburt vollkommen gesund?
· Gibt es schon bei der Geburt eine Keimbesiedelung mit krankmachenden Bakterien, Viren, Pilzen?
· Können bestimmte Defekte in der frühkindlichen CF-Lunge sich regenerieren?
· Wann ist die Lungenreifung abgeschlossen?

Schon vor der Geburt werden morphologische Veränderungen aufgrund der CFTR-Pathologie an den Strukturen der Atemwege angenommen.
Sichtbar wird das erst nach der Geburt in Form von Lungenüberblähung und Bronchialerweiterung. Dabei ist das CF-Kind bis vielleicht auf eine erhöhte Atemfrequenz vollkommen unauffällig.
Die Studien von Prof. Markus Mall, PD. Olaf Sommerburg und Prof. Matthias Kopp (Uni Heidelberg, Lübeck) haben schon im Alter von 3-4 Lebensmonaten bei jungen CF-Kindern im NMR (Kernspinresonanz) der Lungen Veränderungen an den Bronchien festgestellt, ohne dass die Kinder krank wirkten.
Aufgrund der CFTR-Dysfunktion treten frühzeitig Infektionen auf mit nachfolgender Inflammation (Entzündungsbereitschaft) und vermehrter Mukusproduktion. Ein schon früh einsetzendes Remodelling ( Umbau ) der Lungenstrukturen ist dann die Folge.
Die fehlende CFTR-Kanalfunktion hemmt den mucociliaren Transport. Den wichtigen Flimmerhärchen fehlt der Flüssigkeitsfilm für die Durchführung der notwendigen Reinigung des Bronchialsystems.
Daraus ergeben sich dann die Folgeprobleme. Im Flüssigkeitsfilm ist der pH-Wert erniedrigt. Das hat eine Hemmung der antimikrobiellen Aktivität zur Folge. Also vermehrtes Bakterienwachstum in Richtung einer chronischen Bakterienbesiedelung.
Die ersten beiden Fragen sind hiermit beantwortet.
Bei früh einsetzender Therapie können Regenerationen möglich sein, das ist also die Basis für eine gute Lungenfunktion.
Die Lungenreifung ist im Alter von 3-4 Jahren weitgehend abgeschlossen, spätestens im 7. Lebensjahr. Bis dahin können Reparationen erfolgreich sein.
Die Lungenforschung von Prof. Tümmler wird sicher noch erhellende Fakten in Zukunft aufzeigen.
Nun aber die Frage , was kann man denn als Behandlung in den ersten Lebensjahren vorschlagen, abgesehen von den bekannten Therapieschritten.
Hilfreich ist dazu das Studium der AWMF online-Leitlinien:
S3-Leitlinien: Mukoviszidose bei Kindern in den ersten beiden Lebensjahren. Z.T. gilt das auch für die nächsten Lebensjahre.
Der verdickte Schleimfilm auf den Bronchien lässt sich durch die Inhalation von bestimmten Substanzen verringern: hypertone NaCl-Lösung und Dornase alpha, auch Zusätze von einem Beta-2-Sympathomimetikum wirken sich günstig aus.
In diesem jungen Kindesalter sind bei CF folgende Therapiesäulen zu beachten:
· Physiotherapie
· Inhalationstherapie
· Strenge und regelmäßige Überwachung des mikrobiellen Status ( tiefer Rachenabstrich )
· Rechtzeitige Behandlung gezielt mit einem Antibiotikum, wenn erforderlich
· Bildgebende Überwachung ( Röntgen- der Lungen , auch NMR der Lungen)
· Pankreasenzymsubstitution
· Überwachung des Entzündungsstatus , der Atemfrequenz, des Vit D-und E-Status, Blutbildkontrollen, Gewichts-und Wachstumskontrollen
· Frühes Heranführen an sportliche Aktivitäten.
· Klima-Aufenthalte, an der Nordsee, auf den kanarischen oder kapverdischen Inseln
· Vollständiger Impfstatus und auch Grippeschutzimpfung und sicher in Zukunft auch Impfungen gegen Covid 19

Grundsätzlich kann jedoch ein erheblicher Einfluss in Zukunft durch die Einnahme der CFTR-Modulatoren erwartet werden. Bei bestimmten CFTR-Mutationen kann schon ab dem 6. Lebensmonat, bei anderen ab dem 2. Lebensjahr mit dieser Therapie begonnen werden.
Die Erwägung einer derartigen Behandlung kann nach Erfassung des CFTR-Status mit der CF-Ambulanz abgesprochen werden.

Allein die Einführung des Neugeborenen Screenings hat entscheidende Verbesserung erbracht bezüglich Bodymassindex, Lungenfunktion und verringerte Infektion mit Pseudomonas aeruginosa. Damit ist auch die Überlebensrate deutlich gestiegen.
Die Folge des NGS war ja, schon sehr frühzeitig eine gezielte Therapie zu beginnen.
Meines Erachtens ist die frühzeitige Physiotherapie und die konsequent angewendete Inhalationstherapie mit der hypertonen NaCl-Lösung oder Dornase alpha Lösung richtungsweisend für eine Regeneration der kindlichen Lunge. Die Physiotherapie und die Inhalationstherapie sollte nicht erst beim Auftreten von Symptomen eingesetzt werden, sondern präventiv nach der Geburt.
Eine ganz neue und äußerst effektive Art, den Krankheitsprozess frühzeitig zu beeinflussen ist der Einsatz von CFTR-Modulatoren, die die Funktion des Chloridkanals (CFTR-Kanals), der bei Mukoviszidose betroffen ist, zumindest teilweise wiederherstellen können. Bestimmte Modulatoren können bereits im ersten Lebensjahr eingesetzt werden und in Zukunft werden weitere Modulatoren entwickelt werden, die immer früher und bei einem immer größeren Teil der Mukoviszidose-Betroffenen eingesetzt werden können. Der möglichst frühe Einsatz solcher Medikamente zusammen mit der weiterhin notwendigen Standardtherapie wird dazu führen, früh dem Krankheitsprozess entgegenzuwirken, und dadurch mildere Krankheitsverläufe und eine weitere Steigerung der Lebenserwartung zu erreichen.
Das Zeitfenster ist in den ersten Lebensmonaten und Lebensjahren offen. In dieser Zeit sind die biologischen Prozesse günstig mit diesen Therapiemöglichkeiten zu beeinflussen.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. H.-E. Heuer
23.02.2021
Die Antwort wurde erstellt von: Dr. Hans-Eberhard Heuer