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Glutathion und Acetylcystein

Frage
Hallo Zusammen,

können Sie mir bitte erklären, ob die schleimlösende Wirkung bei ACC am ACC liegt oder wenn das ACC erst in Glutathion umgewanldet wird? Sprich: wenn man Glutathion einnimmt, hat man die gleiche Wirkung wie mit ACC? Oder ist es so, dass das ACC erst den schleim löst und dann in der Leber zu Glutathion umgewandelt wird und seine antioxidative wirkung erfüllt? Damit wäre dann das ACC dem Glutathion, welcher ja "nur" eine antioxidative Wirkung hat, überlegen, oder? Danke.
Antwort
Sehr geehrter Ratsuchender,

Acetylcystein (ACC) ist eine chemische etwas stabilere Modifikation der schwefelhaltigen Aminosäure Cystein. Daten aus den 60er Jahren (Hurst GA et al. Am Rev Respir Dis. 1967;96(5):962-70. doi: 10.1164/arrd.1967.96.5.962) hatten Hinweise auf eine mukolytische Wirkung von SH-Gruppen tragenden Substanzen gegeben. In der Tat konnten Hurst und Kollegen zeigen, dass Acetylcystein in vitro die rheologischen Eigenschaften (also wie zäh- oder dünnflüssig ein Gel ist) von expektoriertem Schleim verändert. Offensichtlich wurde der Schleim nach Inkubation mit ACC dünnflüssiger. Dieser Befund konnte damals auch nach Inhalation bei Patienten bestätigt werden.

Man erklärt die schleimlösende Wirkung von SH-Gruppen tragenden Substanzen damit, dass die zur Verfestigung des Schleimgerüstes beitragenden S-S Bindungen der im Schleim enthaltenen Glykoproteine aufgespalten werden und sich damit die "Architektur" des Schleims verändert.
Die Daten von Hurst sind durch eine direkte Wirkung von ACC auf den Schleim (also entweder nach Zugabe im Reagenzglas oder bei Inhalation) halbwegs erklärbar. Eine Studie neueren Datums (Ehre C et al, Am J Respir Crit Care Med. 2019;199(2):171-180. doi: 10.1164/rccm.201802-0245OC) konnte aber nicht einmal in-vitro bzw. im Tiermodell einen signifikanten schleimlösenden Effekt von ACC Lösungen nachweisen.


Inzwischen wird die Wirkung von Schleimlösern jedweder Art (also auch Substanzen wie Ambroxol, Bromhexin, Guaifesin etc.) sehr kontrovers diskutiert. Besonders nach oraler Anwendung erscheint ein direkter Effekt von ACC auf die Konsistenz des Schleims in den Atemwegen wenig plausibel. Sollte die Substanz tatsächlich S-S Bindungen lösen können, dann wären davon nicht nur die Atemwege sondern natürlich alle Strukturproteine aber auch z.B. Hormone wie das Insulin betroffen und wir würden uns nach Einnahme von ACC alle "auflösen" oder Diabetiker werden.

Trotzdem erfreut sich orales ACC einer großen Beliebtheit und wird besonders in der Erkältungszeit heftig beworben. Insofern müsste doch etwas an einer therapeutischen Wirkung zu finden sein. Leider ist die Datenlage, um vorsichtig zu sein, dürftig. Eine Hypothese ist, dass ACC gar nicht über eine Mukolyse wirkt sondern als Substrat für die Bildung des natürlichen Antioxidans Glutathion dient. Dieses ist ist ein Tripeptid, das aus den drei Aminosäuren Glutaminsäure, Cystein und Glycin gebildet wird. Vermutlich besitzt auch Glutathion eine gewisse schleimverflüssigende Wirkung allerdings würden dazu recht hohe Konzentrationen benötigt. Diese lassen sich durch orale Gabe von ACC nur dann signifikant steigern, wenn ein apparenter Glutathion Mangel vorliegt. Bei akuten oder chronischen Entzündungen könnte der Glutathion Bedarf erhöht sein - auch hier fehlt es aber an überzeugenden Studiendaten.

Insofern kann zwischen den beiden Substanzen ACC und Glutathion kein qualitativer oder quantitativer Vergleich hinsichtlich derer schleimlösenden Wirkung getroffen werden. Wahrscheinlich liegt die Hauptwirkung oraler ACC Zubereitungen darin, dass man sie mit viel Flüssigkeit einnehmen muss und das ist bei Erkrankungen der Atemwege (vermutlich - auch hier fehlen belastbare Daten) hilfreich.

Mit den besten Grüßen,

Prof. Dr. Martin J. Hug
29.11.2021
Die Antwort wurde erstellt von: Dr. med. Christina Smaczny